Berichte von 04/2014

28April
2014

Mein Zimmer

Als ich das erste mal in diesen Raum kam, der für 10 Monate mein Zimmer sein sollte habe ich mich als erstes über dieses riesige Bett gefreut. Ein riesiges Bett in der Mitte des Zimmers, zwei Nachttische, eine Nachttischlampe, ein Stuhl, ein Schreibtisch, ein Schrank, zwei Kommoden, ein Spiegel. Geblümte Bettwäsche. Kein Lampenschirm. Bücher von ehemaligen AuPairs auf den Nachttischen. Schön, aber unbewohnt.

Mittlerweile gibt es keine Ecke mehr in diesem Raum die nicht bewohnt aussieht. Auf den Nachttischen liegen, neben den anderen, meine eigenen Bücher, Bilder von den Kindern schmücken die Wand und Postkarten den Kleiderschrank. Auf der Kommode stehen noch mehr Bücher, Schuhe, ein Schmuckkasten, Spardosen, Muschelgläser, Bodylotion, Deo und Make-up. Eine Karte an der Tür und ein pinker Lampenschirm an der Decke. Ein Hurlingschläger lehnt am Spiegel und Klamotten hängen über der Stuhllehne. Mein Kamerastativ steht verkleidet als Garderobe in der Ecke, darunter Taschen und Schuhe. Sportschuhe, Winterschuhe, Stoffschuhe, hohe Schuhe.

Die Zeit rennt, sie fliegt. Sie vergeht so schnell, dass meine Monate in Irland schon fast wieder vorbei ist und ich trotzdem noch das Gefühl habe ich wäre erst vor ein paar Wochen hier angekommen. Noch 71 Tage von 292. 10 Wochenenden bevor meine Eltern kommen um mich abzuholen.

10 Wochenenden!!! Das ist doch verrückt. Da denkt man, dass man wahnsinnig viel Zeit hat und dann rennt sie einem davon, ohne das man etwas mitbekommt.

Ich habe mich als Kind manchmal gegen den Autositz gedrückt, habe versucht mich so schwer wie möglich zu machen um das Auto langsamer werden zu lassen, es vielleicht sogar anzuhalten, wenn ich nicht dort ankommen wollte wo wir auf den Weg hin waren oder einfach, weil ich die fahrt so genossen habe.

Wenn ich jetzt am Strand sitze über Meer und Berge schaue oder im Pub der Musik lausche fühle ich mich genau wie damals; ich lehne mich zurück und drücke mit dem Rücken gegen die Zeit um sie langsamer verstreichen zu lassen. Mache mich schwer um sie daran zu hindern aufzustehen und zu gehen. Natürlich klappt es nicht. Es hat damals schon nicht geklappt.

Und obwohl ich mich darauf freue wieder nach hause zu kommen, wünschte ich, dass ich ab und zu eine Pause taste drücken könnte und die Zeit kurz anzuhalten, Luft zu holen und all das schaffe wofür ich vielleicht schon jetzt nicht mehr genug Zeit habe.

Dieses Zimmer ist mir ein zuhause geworden, genau wie dieses wunderschöne Land. Und obwohl ich noch etwas Zeit habe, will mir nicht aus dem Kopf gehen, dass es eben nur noch ein bisschen Zeit ist. Und das die Zeit keine Pause in ihrem ständigen Rennen braucht.

25April
2014

Marie

Meine Schuhe waren von Strand und Meer nass und sandig. Ich überlegte kurz ob ich sie ausziehen, meine Füße hochlegen und mich im Autositz zurücklehnen sollte. Aber ich blieb regungslos sitzen, lauschte der Musik aus meinen Kopfhörern und betrachtete diese atemberaubende Natur in der Dämmerung. Den langen, schönen Sandstrand und die Berge im Hintergrund. Die Dünen und die glitzernden Wellen, deren Schaum wie wilde Pferde auf die Küste zu galoppierte.

Ich vermisse diesen Anblick schon jetzt. Ich vermisse die Berge. Ich vermisse die Zeit. Ich vermisse Marie. Für mich sind es jetzt noch etwas mehr als zwei Monate, aber Marie geht schon in weniger als zwei Wochen. Marie, mit der ich hier schon so viel erlebt habe. Marie, mit der ich abends noch zum Strand fahre, zwei Liter Eis verdrückte und Steine springen lasse. Marie, mit der ich Berge erklimme und im Herbst im eiskalten Atlantik bade. Marie mit Herrn von Schrott. Marie, die den Ring of Kerry schon im Dunkeln und im dichten Nebel gefahren ist. Marie, die verrückte, liebe, meist zu spät kommende, gute, süße, nervige, geniale, hilfsbereite, starke Marie, meine Marie.

Unten am Strand spielen sich zwei Iren mit Hurlingschlägern Bälle zu. Hurling, Strand, Berge, Marie, das ist mein Irland. Die Autotür geht auf und Marie steigt zurück in den Wagen. Ich mache die Musik aus, lehne mich zurück und genieße das hier und jetzt solange ich noch hier bin.

09April
2014

24. Februar. 2000


Fast hätte ich erwartet eine Leiche zu sehen, die Leiche eines alten Mannes oder einer alten Frau, die hier gewohnt hatten und die niemand vermisste. Aber ich sah nichts. Ich beugte mich noch etwas weiter vor und zuckte zurück.

Lugte noch einmal hinein, aber auf dem Boden des winzigen Raumes lag nur ein verdrecktes Bettlaken, mein Blick wanderte die Wand hinauf. Der Raum war kaum größer als eine Umkleidekabine im Schwimmbad, durch die offene Tür konnte ich in den nächsten Raum sehen. Ich schaute auf die Haustür, bestimmt war sie offen oder man könnte einfach durch eines der offenen Fenster klettern. Aber ich tat es nicht. Stattdessen ging ich zum nächsten Fenster schaute hinein. Hier war also die Küche. Gewesen. Es war nur noch die Spüle übrig. Eine aufgeschlagene Zeitung lag auf der Arbeitsfläche daneben.

Ein Bild von einem alten Mann erschien in meinem Kopf. Er stand gedankenverloren an der Spüle, eine Kaffeetasse in der Hand. Er blätterte in der Zeitung ohne darin zu lesen, Falten zerfurchten sein Gesicht und dunkle Augenringe ließen in erschöpft und müde wirken. Er nahm einen Schluck von seinem Kaffee, fluchte, weil er sich verbrannt hatte und erwachte aus seinen Gedanken.

Ich war schon längst wieder zuhause, aber dieses Haus lies mich nicht mehr los. Im Gegenteil, der Blick durch die Fenster hatte meine Neugier keineswegs gemildert.

Marie rüttelte an der Tür, sie war verschlossen. Erst jetzt bemerkte ich, das die Fenster gar nicht geöffnet waren, wie ich zuerst gedacht hatte, es waren gar keine Fenster mehr dort. Löcher in der Wand, nicht mehr. Marie kletterte auf die Fensterbank und im nächsten Augenblick war sie im Haus verschwunden. 

Im Haus roch es alt und vermodert. Mehrere Lagen Tapeten blätterten von der Wand ab, der Boden wölbte sich. Möbel gab es nicht mehr. Ich ging zur Spüle herüber. 24. Februar. 2000. Dann stand das Haus schon so lange leer... 

Wir schauten uns im Rest des Hauses genauer um. Von innen schien es viel größer als ich vermutet hatte, aber es war immer noch winzig. Es gab 5 Räume, der Raum in dem wir standen war sowohl Eingangsbereich, Küche und wahrscheinlich auch Wohnzimmer gewesen. Das vermutete ich zumindest. Er war das Zentrum des Hauses. Hier gab es die Spüle plus Arbeitsfläche und einen Kamin. Gegenüber vom Kamin war deutlich ein großes helleres Viereck der Wand zu sehen, vielleicht hatte dort mal ein Schrank gestanden. Zu gerne hätte ich gewusst wie dieses Haus noch vor 14 Jahren ausgesehen hatte und was am 24. Februar. 2000 geschehen war. Von der Küche gingen auf der einen Seite zwei Türen zu jeweils zwei gleichgroßen Räumen. Sie waren nicht größer als das ein Bett reingepasst hätte.

Auf der anderen Seite ging es weiter in einen winzigen Raum von dem es weiter ins Bad ging. Dusche, Toilette, Waschbecken. Am Haken neben der Toilette hing noch immer Klopapier. An der Dusche Shampoo.

Viel mehr wurde nicht hinterlassen. Neben der Spüle fanden wir noch zwei Kochtöpfe und an den Kamin gelehnt standen zwei Bilderrahmen. Mein Herz machte einen Satz, aber Bilder gab es nicht mehr. 

Wer hatte hier gelebt? Warum hatte man das Haus verlassen? Schade, das ich das wohl nie erfahren werde.

03April
2014

Das Geisterhaus

Da stand ich nun. Mitten im nirgendwo. Ich sah zwar die Schnellstraße nicht allzu weit entfernt, aber ich hatte wenig Lust über ein Gatter plus Elektrozaun zu klettern nur um ewig lange an einer viel befahrenen Straße ohne Bürgersteig entlang zu laufen.

Ich drehte mich einmal um mich selbst. Die spinnen die Iren, dachte ich, bevor ich den selben Weg zurück stapfte den ich gekommen war. Wie kann man denn eine Kilometer lange Straße bauen, die einfach im nichts landet? Und wie kann man in einem Land, das voller solcher Straßen ist keine Sackgassen -schilder einführen?

Ich kam wieder an dem leerstehenden Haus vorbei, vor dem ich schon eben stehengeblieben war. Es war klein, winzig, wahrscheinlich nicht viel größer als mein Zimmer, aber genau wie der Wald um mich herum hatte es etwas magisches an sich. Ich fragte mich wie lange es schon leer stand, wer dort gewohnt hatte und warum er oder sie das Haus verlassen hatte. Efeu kletterte durch eines der offenen Fenster ins Haus hinein. Warum ließ man die Fenster offen wenn man ging? Die Neugier zog mich näher an das Haus heran, sie wollte durch das Fenster schauen, wollte hinein gehen und sich umsehen. Aber ich zögerte, schaute mich um. Machte einen Schritt vorwärts und blieb wieder stehen. Ich weiß nicht wovor ich eigentlich Angst hatte, aber sie hielt mich zurück.

Es hatte etwas gruseliges an sich wie es dort Stand, umringt von anderen, bewohnten Häusern und doch so einsam. Und so leer. Und so anders. Die anderen Häuser in der Umgebung waren alle groß, Luxuriös, mit riesigen Gärten und großen Autos. Ein Geisterhaus.

Weiße Gardinen hingen in den geschlossenen Fenstern und verwerten mir den Blick hinein. Ich machte noch einen Schritt vorwärts Und hob eine Osterglocke auf die vor mir abgeknickt auf dem Boden lag.

Ich könnte ein anderen Mal wiederkommen. Aber ich wusste, dass ich das nicht tun würde. Ich würde andere Ausreden finden und ich hatte keine Lust mehr mich von meiner Angst von irgendetwas abhalten zu lassen, also gab ich mir einen Ruck, ging näher an das kleine, verlassene Haus heran und spähte durch das offene Fenster.